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Hedy Kaufmann wird 90

Was macht eigentlich Linda Frost?
Ein Leben auf und für die Bühne.

20. Februar 2025

von Peter Denlo

Hedy Kaufmann ist die vielleicht älteste noch aktive Schauspielerin der Schweiz. Heute wird sie neunzig Jahre alt. Topfit, mit losem Mundwerk und voller Frische und Elan hat sie mich zum Mittagessen getroffen, um über ihr Leben und übers älter werden zu sprechen. 

Es regnet in Strömen, als ich in Basel ankomme. Ich balanciere zwischen den grossen Pfützen auf dem Platz vor dem Bahnhof und eile hinüber zu einem asiatischen Selbstbedienungsrestaurant. Auf die Frage, wo wir uns treffen sollten, meinte sie, dies sei der perfekte Ort, um miteinander zu quasseln – «Das ist immer leer.» Ich bin ein paar Minuten zu früh dort und suche einen ruhigen Tisch aus. Tatsächlich, ich bin fast der einzige Gast in dem Restaurant.

Und dann tritt sie ein, mit Schirm bewaffnet, über das Wetter fluchend. Perfekt frisiert, die Nägel frisch manikürt und wie immer stilvoll gekleidet – Hedy Kaufmann. In unserer kleinen, bunten Theaterwelt eine lebende Legende. Nicht nur wegen ihrer vielen Jahrzehnte Bühnenerfahrung, sondern auch wegen ihrer unermüdlichen Lebensfreude, von der wir uns alle eine Scheibe abschneiden könnten. Denn Hedy Kaufmann wird stolze 90 Jahre alt!

Wir begrüssen uns wie zwei alte Saufkumpanen, die sich zwar seit über einem Jahr nicht gesehen haben, aber sofort wissen, wo sie anknüpfen können. Doch wir sind nicht nur zum Tratschen zusammengekommen. Ich will von Hedy endlich die ganze Lebensgeschichte wissen. Und ihr Geheimnis. Wie macht sie das bloss?

Theater im Blut

Geboren 1935, wächst Hedy als Einzelkind in Basel auf. Ihre Mutter ist Hausfrau, «wie das damals eben so war», und ihr Vater war erster Polizeikommissär – der Krimi wird ihr also sozusagen in die Wiege gelegt. Das Theater auch. Denn der Vater schreibt leidenschaftlich Theaterstücke: Märchen für Kinder und Schwänke für das erwachsene Publikum. Kein Wunder also, dass Hedy bereits mit sieben Jahren auf der Bühne landet. Sie spielt fortan ein Märchen nach dem anderen. Doch irgendwann wird sie zu alt, um Gretel oder Rotkäppchen zu mimen. Kurzerhand wird sie zur Hexe umfunktioniert – ein Riesenerfolg.

Nach dem Krieg will sie ins Ausland. Sie lernt Französisch und verbringt ein Jahr in London, um Englisch zu lernen. Doch der Traum, Schauspielerin zu werden, wird immer stärker. Wieder zurück in Basel verkündet ihr Vater jedoch, dass das Mädchen zuerst einen «richtigen» Beruf erlernen müsse. Sie beginnt eine Lehre als kaufmännische Angestellte und nimmt nebenbei Schauspielunterricht am Theater Basel. Es folgen Unterricht in Atemtechnik, Ballett, Klavier und Gesang. Und an den Wochenenden steht sie weiterhin mit ihrem Vater auf der Bühne. «Es war kein Muss, denn ich hatte grosse Freude daran. Aber manchmal war es schon ein Chrampf», erinnert sie sich rund siebzig Jahre später.

Also steht Hedy Kaufmann seit 83 Jahren auf der Bühne? «Ja», antwortet sie gelassen, «aber klar, ich war dann verheiratet, habe drei Kinder zur Welt gebracht und grossgezogen. Da rückte das Theater für einige Jahre in den Hintergrund», erzählt sie. Doch ihre Eltern kennen den Theatervirus und helfen der Tochter mit Kinderhüten, damit sie abends wieder auf den Brettern stehen kann, die die Welt bedeuten.

Die Karriere nimmt an Fahrt auf

In den späten 1970er Jahren lernt sie Hans-Jörg «Häbse» Hersberger kennen – eine schicksalshafte Begegnung, denn Hedy und Häbse werden für die kommenden gut vierzig Jahre zusammen auf der Bühne stehen. Häbse – Schauspieler, Komödiant und Tausendsassa – ist damals in Basel umtriebig wie kein Zweiter. Vorfasnachtsveranstaltungen werden immer populärer. Häbse ist beim Charivari dabei und engagiert Hedy. Später gründet er mit dem Mimösli sein eigenes Fasnachtsprogramm, das tout Basel bis heute nur mit Hedy Kaufmann kennt.

Sie beginnt, in unzähligen Komödien Häbses Frau zu spielen. Die beiden werden zu einem untrennbaren Gespann, wie es Ruedi Walter und Margrit Rainer vor ihnen waren. Hedy steht fortan streckenweise sechs Tage die Woche auf der Bühne. Und Basel feiert die energiegeladene Schauspielerin.

Unsere Wege kreuzen sich

2007 werde ich als junger Schauspieler ans Häbse-Theater engagiert und lerne Hedy kennen. Sie ist damals «erst» 72. Voller Energie, Witz und Charme erobert sie auch sofort mein Herz. Und da ich gleichzeitig mit DinnerKrimi beginne, wird mir schnell klar: Diese Powerfrau will ich in meinem Ensemble haben.

2012 ist es mit Verliebt, verlobt, vergiftet endlich soweit, und Hedy spielt ihren ersten DinnerKrimi. «Ich war zuerst ein wenig nervös», verrät sie nun 13 Jahre später, «denn ich war es mir gewohnt, dass ich auf der Bühne meinen sicheren Ort habe. Und plötzlich musste ich zwischen Tischen und Stühlen balancieren, und jeder konnte mich anfassen.» Hedy lacht laut heraus. «Doch bereits bei der ersten DinnerKrimi-Vorstellung merkte ich, dass es eigentlich gar keinen Unterschied gibt. Und so hatte ich keinen Moment ein Problem damit. Im Gegenteil, ich habe diesen direkten Kontakt mit dem Publikum geliebt.»

Nach DinnerKrimi folgt 2014 Tatort Jungfrau. Damit wird Hedys Paraderolle geboren: Linda Frost, Hollywood-Star extraordinaire, die mit Morddrohungen im Berner Oberland konfrontiert wird. Christian Arroyo schreibt eine 150-seitige Biografie, und Hedy saugt das Leben der Frost wie ein Schwamm auf. Der Fall Linda Frost wird zum vollen Erfolg, und Hedy wiederholt die Rolle in drei weiteren Ausgaben von Tatort Jungfrau.

«Ich werde noch heute auf die Frost angesprochen. Es ist Wahnsinn, wie diese Rolle bei den Leuten ankam. Das war ein Höhepunkt meines Lebens, bestimmt der Höhepunkt meiner künstlerischen Karriere», schwärmt sie mit grossem Lächeln.

Über 300 Vorstellungen später beendet die Pandemie unsere Zusammenarbeit. Um Hedy wird es für zwei Jahre stiller. Doch wer denkt, die Grande Dame des Basler Volkstheaters habe ihre Karriere aufgegeben, irrt gehörig: Nach der Pandemie kommt das Comeback. Hedy steht wieder im Häbse-Theater auf der Bühne. Hat sich Häbse in der Zwischenzeit zwar zur Ruhe gesetzt, schreibt nun der neue Intendant Dani von Wattenwyl für Hedy. Und natürlich steht jedes Jahr weiterhin das Mimösli auf dem Programm.

Wie wird man 90 Jahre alt?

Wir sitzen schon fast vier Stunden in dem leeren Restaurant. Auf unseren Tellern liegen noch ein paar angeknabberte Frühlingsrollen. Ich hole uns Kaffee und entscheide mich, jetzt ist der Moment gekommen, um übers Altern zu sprechen. Hedy lacht: «Ich begreife ja gar nicht, dass ich neunzig werde. Ich weiss gar nicht, wie das passieren konnte.»

«Wenn man schon so lange lebt, weiss man dann eigentlich, worauf es im Leben drauf an kommt?» Ich versuche, ein wenig philosophisch zu werden. «Du musst im Leben kämpfen», verrät sie. «Und immer wieder aufstehen. Jeder hat Probleme. Aber die sind da, um gelöst zu werden. Zuhause sitzen und Trübsal blasen bringt nichts. Ich muss mit mir selbst klarkommen. Und das habe ich immer so gemacht – damit bin ich gut durchs Leben gekommen.“

Ihr Handy flimmert auf und mit flinken Fingern tipp sie eine kurze WhatsApp Antwort. «Solange ich noch gefragt bin, mache ich weiter», verspricht sie und erklärt: «Zuhause sitzen, lesen, Kreuzworträtsel lösen und mich auf dem Balkon sonnen – ja, das ist schön und gut. Aber ich freue mich, wenn ich noch gebraucht werde.»

«Hält das jung?», frage ich, in der Hoffnung, Hedy lüftet endlich ihr Geheimnis der ewigen Jugend.

«Nein!» Sie lacht laut heraus. «Nicht, wenn ich um sieben in der Früh aufstehe und in den Spiegel schaue.» Dann denkt sie kurz nach und ergänzt: «Doch, natürlich tut das gut und hält mich auf den Beinen.»

«Also ist das das Geheimnis?», will ich endlich wissen. Hedy wird ernst und erklärt:

«Nein. Es gibt kein Geheimnis. Ich nehme jeden Tag, wie er kommt. Und solange ich weitermachen kann, tue ich es – weil es mir Spass macht und mich aus dem Haus bringt.»

«Hat man denn noch Träume, wenn man neunzig wird?», frage ich.

«Träume mit neunzig? Da hat man ausgeträumt!» Sie prustet laut heraus. «Ich muss nicht mehr nach New York. Ich habe meine drei Töchter und meine Enkelkinder. Und wenn es denen gut geht, geht es mir auch gut. Also bin ich wunschlos glücklich.»

Dann nimmt sie einen Schluck Tee, lächelt verschmitzt und fügt hinzu: «Also ja – einmal noch eine richtig gehaltvolle Rolle spielen, wie zum Beispiel Dürrenmatts ‘Alte Dame’ – das wäre schon noch was.» Also gibt es doch auch mit neunzig noch Träume…

«Und was bedeutet es dir, neunzig zu werden?», stochere ich weiter. Hedy nimmt Luft und platzt dann mit einem schelmischen Lachen laut heraus: «Es geht mir am Arsch vorbei!» Sie lässt diesen Satz kurz stehen, dann nimmt sie nochmals Luft: «Ich mache alles immer noch selber. Und ich weiss, das kann von einem Tag auf den anderen vorbei sein. Also bin ich einfach dankbar für jeden Tag, den ich weiterhin so erleben darf.»

Ein weiteres Mal hat mir Hedy Kaufmann bewiesen, dass man sich aufs älter werden auch freuen kann. Viele Menschen bewundern sie, dass sie in ihrem Alter mit solch einem joie de vivre durchs Leben geht. Davon will Hedy nichts wissen. «Da gibt es doch nichts zu bewundern. Ja, mir geht es gut. Doch das ist pures Glück.»

Wir verlassen Arm in Arm das Restaurant. Draussen regnet es weiterhin in Strömen. Ich versuche nochmals, etwas aus ihr herauszukitzeln: «Was ist denn das Geheimnis deiner Schönheit?»

«Schönheit? Das ist ganz einfach. Die kommt von innen. Logisch – wenn du innerlich eine saure Zitrone bist, dann bist du das äusserlich auch.» Hedy verabschiedet sich von mir mit drei Küsschen, spannt ihren Schirm auf und gleitet leichtfüssig die Treppe hinunter. Ja, diese Zitrone hat definitiv noch Saft, aber kein Tropfen davon ist sauer – im Gegenteil. Hedy Kaufmann ist neunzig Jahre alt und sprüht vor lauter Frische.

Ich beobachte, wie sie in die Strassenbahn einsteigt, die sie zu ihrer heutigen Vorstellung bringt. Der Vorhang hebt sich schon zwei Stunden später.